Schrift im Mittelalter
In wohl keiner anderen Epoche hat die Schrift so viele Veränderungen und Wandlungen erlebt.
Im Folgenden wird diese Schriftentwicklung in den wichtigsten Teilen dargestellt. Berücksichtigt werden
hier jedoch nur Schriftarten, die sich von der römischen Kultur ableiten und in Mitteleuropa angewandt wurden.
Wie bei so vielen Entwicklungen im Mittelalter muss man auch bei der Schrift mit den Römern beginnen:
Römische Kaiserzeit
Die Römer hatten schon zur Kaiserzeit eine uns recht vertraute Schrift: die Capitalis.
Sie war eine Majuskelschrift, das heißt, es gab nur Großbuchstaben. Unsere heutigen Großbuchstaben
sehen im Prinzip noch genauso aus. Aber die Römer hatten nur 23 Buchstaben. Es gab kein J kein U,
kein W und auch keinen Wortzwischenraum. Alles wurde ohne Leerzeichen hintereinander geschrieben.
Kein U? Die Römer hatten doch ein U oder? Sie hatten zwar ein U, kannten den Buchstaben U aber nicht.
Als U wurde das V benutzt, es hatte also in der Schrift eine Doppelrolle. Noch heute werden wir durch
das englische W daran erinnert. Das englische W heißt Double-U.
(Die gesamte Entwicklung der Buchstaben
U, V und W ist zu komplex, als dass sie hier abgehandelt werden könnte.)
Bis 5. Jh.
Die Capitalis eignete sich sehr gut, um Inschriften an Gebäuden oder
Texttafeln anzufertigen. Für den täglichen Gebrauch war sie aber nicht sehr praktisch.
Daher hatten auch die Römer „Schreibschriften“. Zum Beispiel die
Spätrömische Kursive der
kaiserlichen Kanzlei. Sie war eine Minuskelkursive (Minuskel = Kleinbuchstabe, Kursive = Schreibschrift).
Diese Schrift bestand nur aus Kleinbuchstaben und hatte nur 22 Buchstaben. Es gab kein J, kein V, kein W
und kein Z. Als Gegenstück dazu gab es auch eine Majuskelkursive (Majuskel = Großbuchstabe).
Diese war vom 1. Jh. bis zum 4. Jh. in Gebrauch.
4. Jh.
Im 4. Jahrhundert entwickelte sich aus der Capitalis die
Unzialis.
Sie war runder, wurde mit Wortzwischenräumen geschrieben und war dadurch viel leichter lesbar.
Die Unzialis war aber immer noch eine Majuskelschrift und hatte wie ihre Vorgängerin kein J und kein W.
Das V wurde zu einem U. Die Unzialis war die erste richtige Buchschrift. Da es damals noch keine
geeigneten Drucktechniken gab wurden auch Bücher mit der Hand geschrieben. Dafür wurden sogenannte
Buchschriften verwendet. Sie waren aufwändig und nur schwer zu schreiben. Für den täglichen Gebrauch
gab es sogenannte Briefschriften oder Kursive. Diese entsprachen unseren heutigen Schreibschriften.
5. Jh.
Die erste Schrift mit Ober- und Unterlängen war die
Halbunziale.
Sie hatte erste Minuskeln und fand eine weite Verbreitung in Europa. Es entstanden viele regionale Formen.
Erstmals gab es U und V. Sie war die Hochform der frühchristlichen Schrift.
150 v. Chr. – 800 n. Chr.
Die Germanen benutzten bis zu ihrer Christianisierung
Runen.
Dabei gab es nicht nur eine Runenschrift. Vielmehr hatten die unterschiedlichen Stämme
auch unterschiedliche Runenschriften. Von den 21 (nach Online Bibliothek) bekannten Runenalphabeten
sind allein 11 germanischer Herkunft.
8. – 13. Jh.
Eine der bereits oben erwähnten regionalen Formen der Halbunziale ist die
Beneventana,
eine langobardische Buchschrift. Sie war vor allem in Süditalien verbreitet. Dieser Schrift fehlten wiederum
einige Buchstaben, die früher vorhanden waren. So gab es kein J, kein K, kein W, kein Y und kein Z.
Wegen der zunehmenden Übertreibung der eckigen Formen und der damit einhergehenden Unlesbarkeit ließ
Friedrich II. die Schrift 1220 und 1231 verbieten.
8. – 11. Jh.
Einen wichtigen Meilenstein in der Schriftentwicklung stellten die
karolingischen Minuskeln
dar. Sie wurden aus den merowingischen Minuskeln abgeleitet.
Karl der Große ließ diese Schrift mit dem Ziel einer einheitlichen Schrift im gesamten
Frankenreich entwickeln. Die neue Schrift sollte klar lesbar und einfach zu schreiben sein.
Durch diese Vorteile verbreitete sie sich sehr schnell. Karl der Große ließ auch antike Texte
in die neue Schrift übertragen um sie so einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.
Unsere heutigen Kleinbuchstaben basieren direkt auf den karolingischen Minuskeln.
12. Jh.
Hildegard von Bingen benutzte in der Mitte des 12. Jh. für mystische
Zwecke eine „lingua ignota“ (unbekannte Sprache). Dafür schuf sie eine
„litterae ignotae“
also eine unbekannte Schrift.
12. – 16. Jh.
Mit dem Übergang von der Romanik zur Gotik vollzog sich auch ein Wandel der Schrift.
Sie wurde nun enger und spitzer. Ein Beispiel ist die
Textura quadrata,
eine gotische Minuskel,
welche sehr eng und damit nur schwer schreib- und lesbar ist. Die Textura quadrata stammt aus
Nordfrankreich und wurde nur für die höchste Textebene, z. B. Bibelhandschriften, verwendet.
12. – 16. Jh.
Die Gotische Kursive, auch
Notula genannt,
entwickelte sich aus der Textura,
indem diese mit kursiven Elementen durchsetzt wurde. Die Verfügbarkeit von preiswertem
Papier und die zunehmende Anzahl von Gelehrten, Studenten und Kanzleien förderten diese Entwicklung.
Die Notula war eine Kursive, die sowohl über Groß- als auch über Kleinbuchstaben verfügte.
Allerdings gab es für i, o, u und v keine entsprechenden Großbuchstaben. J und W fehlten immer noch gänzlich.
13. – 16. Jh.
Etwas anders entwickelte sich die Schrift im Süden. In Norditalien kam die
Rotunda auf.
Eine Minuskelschrift, die auch Südliche Gotik genannt wird. Sie wurde aus der Beneventana ausgebildet.
Auch ihr fehlen J, V und W. Dadurch, dass die Bögen nicht vollständig gebrochen sind und durch ihre
größere Laufweite ist die Rotunda aus heutiger Sicht besser lesbar als ihre nördliche Verwandte, die Notula.
15. Jh.
Gutenberg erfand Mitte des 15. Jh. ein Druckverfahren mit beweglichen Lettern
und die Druckerpresse. Er erfand nicht den Buchdruck. Er revolutionierte ihn. Für seine Bibel entwickelte
Gutenberg eine sehr elegante
Textura.
Diese Bibel wurde in der Zeit von 1452 bis 1454 in einer Auflage
von ca. 180 Exemplaren gedruckt. Gutenbergs Textura enthielt nun alle 26 Buchstaben des deutschen Alphabets.
15. Jh.
Die
Fraktur
war schließlich die Vollendung der gebrochenen Schrift. Sie war bis ins
20. Jh. in Deutschland gebräuchlich. Auch von der Fraktur gab es zahlreiche Varianten, denen mehr
oder weniger Buchstaben fehlten. Keine der mittelalterlichen Frakturschriften enthielt jedoch ein J.
15. Jh.
Schon bald nach Gutenbergs Erfindungen erkannten einige Druckmeister die neuen
Möglichkeiten. Bereits 1470 schuf Nicolas Jenson (ein Schüler Gutenbergs) die erste Venezianische
Renaissance Antiqua. Jenson war nach dem Tod Gutenbergs nach Venedig gegangen. Die von
Jenson geschaffene
Schrift gilt in ihrer Ästhetik bis heute als unerreicht.
16. Jh.
Auch in Frankreich war der Übergang zur Renaissance zu spüren. Claude Garamond
entwickelte ca. 1530 eine Französische Renaissance-Antiqua. Die Schrift von Garamond war bis zum Jahr
1600 zur vorherrschenden Buchschrift in Europa geworden.
Die
Garamond
wird auch heute noch sehr viel
verwendet. Die Garamond besaß zwar ein J, dafür fehlte das W. Ein großes J und ein großes U gab es
ebenfalls nicht.
Ab 17. Jh.
Die Buchdruckschriften des 17. (z. B. Etienne) und 18. (z. B. Didot) Jahrhunderts
enthielten zwar ein J aber immer noch kein W. Wann das W ein fester Bestandteil der deutschen Schrift
wurde, konnte nicht ermittelt werden. In Schweden wurde das W beispielsweise erst im Jahr 2006 ein
offizieller Buchstabe des Alphabets.
Quelle:
http://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_Typografie